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Sie verkleiden sich und treffen sich in alten Schlössern, um pompöse Orgien zu feiern. Wir haben uns eingeschmuggelt. Protokoll einer hemmungslosen Nacht
Maskenball der Lust
[dcs_dropcap1]E[/dcs_dropcap1]ine Hand greift mein Knie – viel zu fest für eine zufällige Berührung. „Ich heiße Chantal“, haucht sie aus ihrer engen schwarzen Lackkorsage und streichelt weiter über meinen Oberschenkel. „Richtig, wir hatten uns ja gar nicht vorgestellt“, sage ich.
Chantal fixiert mich durch ihre Maske, während wir feinste Gemüseconsomme löffeln. Ein Kellner kredenzt „Lachs im Kräuterbett“, den zweiten von sechs Gängen. Der letzte Gang dieses Abends wird nicht an den Tafeln im Festsaal des Schlosses zelebriert, sondern in einem der zehn „Spielzimmer“: im „Herzblattraum“, in der „Turnhalle“, im „Folterkeller“. Als Nachtisch erwartet die 60 Frauen und 60 Männer, wofür sie heute Abend gekommen sind: Sex.
Dieser Opernball der Lust nennt sich „Nacht der Masken“. Eine Veranstaltung, so exklusiv, dass sie nur zweimal jährlich stattfindet. Der Eintritt beträgt 180 Euro pro Person, alles inklusive. Schon seit Monaten ist der Abend ausverkauft. Das Konzept funktioniert so: ich Mann, du Frau, wir Sex.
Die maskierten Teilnehmer sind auffallend schön. Durchtrainierte Männerkörper und aufregende Dekolletes. Teures Parfüm duftet durch den Saal. Alle hier sind Rollenspieler – falsche Jobs, falsche Wimpern, falsche Namen. So sitze ich zwischen Chantals, Moniques, Isabels – und genieße die Leichtigkeit der Lüge. Da alle mitziehen, wird sie zur allgemein gültigen Wahrheit.
Die ungewöhnliche Gesellschaft trifft sich an diesem Wochenende in einem historischen Schloss zwischen Bamberg und Nürnberg. Erste urkundliche Erwähnung 1379. Die einstige Hausherrin hängt als Gemälde über dem Kamin. Von dort blickte sie schon auf fränkische Ritter und plündernde Bauern. Maskierte Liebesdiener sind auch für sie etwas Neues.
Wie auch für den dickbäuchigen Taxifahrer, der meine Begleiterin und mich gerade vor dem Schloss absetzte. „Ne Hochzeit? So, so“, brüllte er uns durchs Seitenfenster nach. „Mit Maske? Ist ja wie bei diesem Kuh-Kuh-Clan!“ Als er seinen Wagen vom Parkplatz steuert, erfasst der Lichtkegel seines Scheinwerfers Porsches, Ferraris und Jaguars.
Wir schreiten durch das Holztor ins Innere des Schlosses. Der Taxifahrer versteht nichts, der Narr. Wie sollte er auch. Nur die Eingeladenen wissen, was hier passieren wird. Nur sie kennen die Regeln im Schloss der Lust. Zum Beispiel, dass bei dieser Jagd nur schießen darf, wer eine Begleitung mitbringt. Wer dem Türsteher nicht gefällt, muss gehen – ganz egal, ob er seinen Eintritt schon bezahlt hat.
Der Veranstalter haftet nicht für psychische Schäden. Das betont er im Einladungsschreiben. Außerdem weist er darauf hin, dass bei Übernachtungen in den nahe gelegenen Hotels streng auf Etikette zu achten sei. Offenbar aus gegebenem Anlass: Unsere Einladung vermerkt, dass es nach Abschluss der Veranstaltung schon mal zum Geschlechtsverkehr zwischen vier Männern und einer Dame gekommen sei, an der Hotelbar und vor den Augen des Personals. „Das darf nicht sein!!!“, mahnt der Veranstalter nachdrücklich. Jedenfalls nicht außerhalb des Schlosses.
Fackeln leuchten den Ankömmlingen im Innenhof den Weg. Teil der großen Inszenierung. Ich stelle mir vor, wie Stanley Kubrick auf einem Regiestuhl sitzt. Er zeigt mit der Hand in die Dunkelheit neben dem Schloss. „Nebel, bitte“, ruft er. Auf seinen Knien liegt das Drehbuch. Auf dem Umschlag steht: „Eyes Wide Shut – die Rückkehr nach Oberfranken“. Der Nebel kommt.
Was steht wohl noch alles in diesem Drehbuch? Worüber werden wir beim Essen reden? Was wird passieren? Partnertausch? Gruppensex?
An der Garderobe der erste Körperkontakt, leider nur mit einem Mann mit Ledermaske. Er tastet mich auf Kameras, Fotohandys oder Aufnahmegeräte ab – die sind streng verboten. Obwohl hier die intimste Sache der Welt offen zelebriert wird, legt man Wert auf Anonymität.
Svenja, meine Begleitung, trägt ein grünes Kleid mit gewaltigem Ausschnitt. So hatte ich die 24-jährige Germanistikstudentin vor einem Jahr in einer Münchner Bar kennen gelernt. Der Stoff ihres Kleides ist blickdicht wie Zellophanfolie. Als ich sie fragte, ob sie mich zu diesem pikanten Event begleiten will, brauchte ich nur wenig Überredungskunst. Der Reiz, den meine Einladung auf eine ansonsten moralisch durchaus standfeste Frau ausübte, überraschte mich. „Eine gute Chance, meine sexuellen Grenzen neu auszuloten“, hatte sie gesagt.
In dem Festsaal mit den schweren Kronleuchtern herrscht schon vor Beginn des Dinners reger Betrieb. Einige Paare unterhalten sich angeregt, andere wandeln durch den Saal und streicheln im Vorbeigehen alle, die ihnen gefallen – und denen scheint es ebenfalls zu gefallen. Auf einer Bühne spielt ein Orchester Kammermusik von Bach bis Händel. Die Atmosphäre erinnert an jene Zeit, in der Monogamie nur etwas für Bauern und Leibeigene war. An diesem Abend reisen wir dorthin zurück – und amüsieren uns wie der Adel.
„Schön, dass ihr wieder da seid“, frohlockt ein Mädchen, das trotz ihrer Maske nicht verheimlichen kann, wie jung sie ist. Als würde sie barfuss und bekifft über eine grüne Wiese tanzen, umrundet sie uns. Unter ihrem durchsichtigen Nachthemd trägt sie einen BH, aber keinen Slip. „Wir?“, frage ich irritiert. „Wer sonst“, schnurrt Lolita und hüpft in die Menge zurück. Dabei pfeift sie die Titelmelodie von „Pippi Langstrumpf“. Sie hat uns verwechselt.
„Und“, fragt die junge Kosmetikerin ihren Freund, „gehen wir jetzt ficken?“
Svenja zieht mich zu einem leeren Tisch. In wenigen Minuten sind die freien Stühle besetzt. In der achtköpfigen Runde ist kaum einer älter als 30, ähnlich wie an den übrigen Tischen. Die Stimmung erinnert an eine Firmenweihnachtsfeier ohne Sitzordnung – ungezwungen, aber etwas angespannt.
Ein Dunkelhaariger im schwarzen Sakko reicht mir eine Zigarette über das Tischgesteck. Die moderne Form der Friedenspfeife, denke ich. Er sieht aus wie der Kundenberater meiner Bank. Ist er es gar? „Finanzgeschäfte?“ , frage ich. „Freier Unternehmensberater“, erklärt John, wie er sich nennt. John ist mit seiner Freundin Steffi aus Hamburg angereist. Elbchaussee. Sie arbeitet für einen Kosmetikkonzern. „Ist ja auch irgendwie eine Beratertätigkeit“, stellt sie fest. Alle lachen. Steffi trägt ein Barockkleid. Ihr Gesicht hat sie weiß gepudert und mit langen Federn verdeckt. Ihr leichtes Lispeln hat fast etwas Charmantes. Das S kommt ihr nicht leicht über die Lippen.
Wir reden über Banalitäten: das „miesssse“ Wetter, die lange ,,Anreisssse“, das alte „Schlossss·“. „Und“, fragt die junge Kosmetikerin ihren Freund, „gehen wir jetzt ficken?“
Wow – so klar die Verhältnisse hier auch sind, so sehr überrascht es mich, das aus dem Mund einer Frau zu hören. Zum Glück ist in „ficken“ kein S, denke ich.
„Dafür ssssind wir doch alle hier“, stellt Steffi lächelnd fest und streicht sich eine Locke aus dem Gesicht. „Ich bin nicht deswegen hier“, ruft eine weibliche Stimme vom Nachbartisch herüber. „So? Weswegen dann?“, frage ich die Frau, die optisch an einen Riesenvogel gemahnt. Schwarze Federn mit feuerroten Spitzen umrahmen ihren Kopf. Ihr vollbärtiger Begleiter mit den dunklen Locken erinnert entfernt an Reinhold Messner. Fand er nach dem Yeti ein weiteres Wesen aus der Fabelwelt?
„Ich stehe darauf, meinem Freund beim Sex mit fremden Frauen zuzusehen“, sagt die Vogelfrau. Der Kellner bringt eine Flasche Wein. Ein 98er-„Vigneti delle Dolomiti“ – ein Chardonnay, der laut Etikett „zu jedem Anlass passt“.
Nach Mitternacht fallen nach und nach die Masken. Nur einige Hartnäckige behalten sie an. Ein erneutes Taxieren beginnt. Svenja und ich verzichten auf die gerade servierte Schokoladentorte und folgen einer roten Leuchtspur, die das Schloss wie eine Ader durchzieht und frische Paare in die so genannten Playrooms pumpt – die Spielzimmer.
Auf dem Weg durch die langen Gänge stoßen wir auf Pärchen, die es nicht mehr bis in die Spielzimmer geschafft haben. Sex überall. Beliebteste Stellung: der Missionar. Orgien sind offenbar nicht zwangsläufig innovativ.
An einer Holztür steht „Lustgrotte „: Nackte Körper hängen an Andreaskreuzen, liegen auf Streckbänken oder sind eingesperrt in gusseiserne Käfige. Dicke Seile schnüren weiches Fleisch. Keiner spricht. Auf der Streckbank liegt Steffi – die Kosmetikberaterin von der Elbchaussee. Ob das der Haut gut tut? John springt um das Foltermöbel wie Rumpelstilzchen ums Lagerfeuer. Ich glaube, ein Kopfnicken wahrzunehmen – eine Einladung, sich an dem Spiel zu beteiligen. „Kommt dazu, ihr zwei“, flüstert Steffi.
Ich wandere mit meiner Hand über Steffis Beine bis hin zu ihren Brüsten. Die steifen Brustwarzen fühlen sich an wie Igelnasen. Ich mag Igel.
Sie ist an den Händen und Füßen gefesselt. Ich berühre Steffis makellosen Körper. Sie erschaudert, Millionen feine Härchen stellen sich an ihrem ganzen Körper auf. Sie sieht verdammt gut aus so.
Aus dem Augenwinkel sehe ich John, das Rumpelstilzchen. Er streift Svenja das grüne Kleid ab. Ich fühle mich wie im Alkoholrausch, dabei habe ich nur wenig getrunken. Ich berühre eine fremde Frau, ein fremder Mann meine Freundin. Ich wandere mit meiner Hand über Steffis Beine bis hin zu ihren Brüsten. Die steifen Brustwarzen fühlen sich an wie Igelnasen. Ich mag Igel.
Zwei Pärchen haben sich um uns geschart und verfolgen unser Treiben. John umschließt Svenjas Hüfte und gleitet mit einer Hand über ihren Bauch. Es ist eine Achterbahn- fahrt. Wir steigen aus, ein anderes Pärchen steigt ein. Keine Fragen, keine Antworten – die wilde Fahrt geht weiter.
Wir schauen noch ein paar Minuten zu. Ich bin nicht der Typ, der seine Frau gern teilt, merke ich. Zumindest nicht mit einem anderen Mann.
Ich setze mich mit Svenja an die Bar im zweiten Stock. „Seid ihr auch das erste Mal hier?“, fragt mich das blonde Mädchen, das mir schon an der Garderobe auffiel. Mit ihrer imposanten Oberweite war sie kaum zu übersehen. Blondie lässt weder Svenja noch mir die nötige Zeit für eine Antwort. „Ich heiße Pia“, sagt sie. Und zaubert sich trotz Maske ein umwerfendes Lächeln ins Gesicht. „Und das ist Patrick.“ Er nickt. Beide studieren in Köln. Pia ist 21, er ein Jahr älter. Warum sie hier sind? „Wir wollen unsere Grenzen kennen lernen.“ „Genau wie wir“, sage ich. Pia lächelt mich an. „Macht sie dich heiß?“, flüstert Svenja in mein Ohr. Sicher macht sie das, antworte ich. Ich bin in einem Bonbongeschäft. Aber zu viel Konfekt, denke ich mir, verdirbt den Magen. Ich brauche eine Auszeit.
Im Waschraum halte ich meinen Kopf unter kaltes Wasser. Als ich rauskomme, streifen im Gedränge zwei Brüste meinen Rücken. Es ist Steffi, die Kosmetikfachfrau. Jemand muss sie losgebunden haben. „Ich mag euch zwei“, sagt sie. „Uns zwei?“ „Dich und Svenja“, antwortet sie, kichert leise und steckt mir einen gefalteten Zettel in die Hosentasche. Und sie ist weg, und ich bin wieder allein.
Ich öffne das Briefchen. Unter einer E-Mail-Adresse steht: „Ich hoffe, wir vier sehen uns bald wieder – gerade weil uns doch so ein Geheimnis verbindet.“